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1330 Seiten, 450.000 Wörter und knapp einen Monat später ist es nun geschafft: Ich habe den letzten Teil des ersten Stormlight Archive-Arcs beendet. Es gab viele Höhen, aber auch einige Tiefen, weshalb ich diesen Teil nicht ganz so rund fand.
Da ich nicht versprechen kann, dass der folgende Text ohne Spoiler auskommt, hier schon mal ein schnelles Fazit: Das Buch hat Schwächen, aber genug Stärken, um sie auszugleichen. Was es aber ist, ist zu lang.
Erst mal zur Einordnung: Die Stormlight Archives-Serie habe ich vor ca. 3 Jahren begonnen, und sie war nicht nur mein Einstieg in das High-Fantasy-Genre, sondern auch in Sandersons Cosmere – ein buchserienübergreifendes Konzept, das die meisten seiner Bücher mal mehr, mal weniger lose verbindet, ohne dass zwingend Vorwissen erforderlich ist. Am besten könnte man es mit dem „Marvel Cinematic Universe“ vergleichen. Aber all das wusste ich damals noch nicht, sonst wäre ich vermutlich direkt erst mal mit seiner Mistborn-Serie, Elantris und Warbreaker eingestiegen.
Und nun, ca. 6.000 Seiten in der Hauptserie später, ist der erste der geplanten zwei Story-Arcs beendet. Und ich werde hier erst gar nicht versuchen, eine Story-Zusammenfassung zu schreiben. [1]
Strukturwandel, Figurenentwicklung, Länge und MCU-Dialogen
Ich fange mal mit dem Meckern an: Die bisherigen Bücher waren in einzelne Teile sortiert und hatten jeweils einen Fokus auf ein bestimmtes Subset von Figuren. Ganze Kapitel sind größtenteils immer aus der Sicht einer einzelnen Figur geschrieben und erlauben einen Einblick in deren Gedankenwelt.
In diesem Teil wurde dieses Konzept, das ich sehr mochte, aufgebrochen. Die Teile sind verschwunden, und die Handlung ist stattdessen in einzelne Tage unterteilt. Durch diese Aufteilung entsteht ein Zeitdruckgefühl, etwas, das ich eigentlich eher gegen Ende, Richtung Klimax, erwartet hätte. Die Figurenentwicklung schien mir zu kurz und hastig – was bei der Seitenzahl fast paradox wirkt.
Dazu kommt, dass die Kapitel zwar noch das Branding einer einzelnen Figur haben, innerhalb derer allerdings sehr oft zwischen einzelnen Figuren hin und her gesprungen wird – und das, ohne dass die Figuren zwangsläufig gerade etwas miteinander zu tun haben. Diesen Schritt kann ich gar nicht nachvollziehen.
Eine Rückkehr zu klarer getrennten Erzählabschnitten würde der Serie mehr Übersichtlichkeit und Lesefluss verleihen.
Dann bin ich mit der Figurenentwicklung nicht ganz zufrieden. Sanderson scheint wichtige Figuren aus ihrem gewohnten Umfeld herauszureißen und in neue Konstellationen zu zwängen. Als Beispiel wäre Lightweaver Shallan zu nennen, die neben ihrem Cryptic Spren ihr eigenes kleines Team an Spionen (The Unseen Court) aufgebaut hat. Von denen hört man allerdings gar nichts, stattdessen wird sie den Großteil des Buches über mit zwei anderen Figuren gepaart, mit denen es bisher kaum Berührungspunkte und auch wenig Chemie gab. Und selbst die Interaktion mit ihrem Cryptic Pattern war kaum vorhanden – dabei waren die Gespräche zwischen den beiden Figuren bisher mein Highlight, insbesondere wegen einer Enthüllung im letzten Buch.
Dann sind da die Dialoge: Die waren entweder gewohnt gut ... oder seltsam. Ich erwähnte bereits die Gemeinsamkeiten mit dem MCU, und einer der größten Schwachpunkte der Filmserie ist, dass jeder emotionale Moment mit einem Oneliner oder Gag kaputtgemacht wird. Und das scheint in diesem Buch jetzt auch stattzufinden. Nicht so häufig wie im genannten Beispiel, aber es fällt schon auf. [2]
Und zum Ende – ich bin selbst erstaunt, wie viel mir tatsächlich nicht gefallen hat – die Länge. Eine gestraffte Handlung und weniger Wiederholungen würden die Spannung steigern.
Sanderson muss dringend lernen, sich kürzer zu fassen. Sehr viele Dinge werden übererklärt, und ich wünschte, es würde mehr "Show, don't tell" statt Exposition geben. Gleichzeitig wird sehr viel wiederholt, teils im selben Kapitel.
Und dann gibt es auch noch ganze Handlungsbögen, die ich einfach mehr oder weniger unnötig fand. So haben die Erlebnisse in den Shattered Planes viel zu viel Raum bekommen, vermutlich nur, um das Setup für ein Spinoff zu schaffen. Dann gibt es insgesamt 16 (!!) Interludes, die, auch wenn teilweise sehr kurz, keine Auswirkungen auf die Story haben.
Und dass Kaladin und Szeth ihre Reise durch Shinovar zu Fuß machen, obwohl sie die Strecke einfach fliegen könnten, ist einfach nur dreiste Zeitschinderei.
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Ach ja – und Amazon hat mir ein Hardcover anstatt eines Paperbacks geliefert. Sieht ziemlich scheiße aus neben den anderen Bänden und macht das Lesen aufgrund des zusätzlichen Gewichts noch schwerer. Außerdem ist das Hardcover an mehreren Stellen eingerissen. Sehr meh.
Aber: Tatsächlich sind viele der genannten Dinge vielleicht eher "Meckern auf hohem Niveau", denn langweilig war das Buch nur selten. Nur halt nicht oft genug relevant.
Aufgefallen: Therapie, Cosmere, Adolin und „das Ende“
Es hat sich im letzten Buch schon angedeutet, aber viele Konflikte und Handlungselemente kommen aus dem therapeutischen Bereich. So werden viele Konflikte eher auf verhaltenstherapeutischer Ebene gelöst – mal mehr, mal weniger gut versteckt. So habe ich das Thema "Heilung des inneren Kindes" an vielen Stellen wiedererkannt.
Ganz deutlich erkennbar an der Figur des Kaladin, eine Figur, die laut Sanderson eigentlich nach Teil 2 gar nicht mehr so viel Raum einnehmen sollte, aber ein Fanliebling geworden ist. Dieser hat sich in der Vergangenheit oft seinen inneren Dämonen gestellt und ist nun einfach mal ... Therapeut. Nicht nur das, er lebt es richtig und will alles und jeden heilen. Das kann man gut oder schlecht finden – und hat zu ein oder zwei kitschigen Momenten geführt –, aber hätte ich zumindest so nicht vorhersehen.
Und wie erwähnt, gibt es auch Unmengen an Exposition. Aber zumindest, was die Integration des gesamten Cosmere betrifft, ist dieses Buch eine Goldgrube, so tief ist Sanderson bisher in keinem Buch eingegangen. Ich bin mir hier allerdings nicht sicher, inwiefern Cosmere-unerfahrene Leser hier abgeholt werden. Die Stärke der Reihe lag für mich immer darin, dass eigentlich kein Vorwissen erforderlich ist und es eher in Form von Fanservice passiert.
Adolin ist großartig in diesem Buch. Zum einen, weil er eine großartige Figurenentwicklung hinter sich hat und in diesem Buch einfach in seinem Element ist und bis zum Ende hin konsistent und spannend bleibt. Er erlebt fast eine klassische Heldenreise, und ich verstehe nicht, warum er so wenig Raum bekommen hat. Hat Spaß gemacht!
Das Ende ist sicherlich kontrovers, schon weil es SPOILER[3]. Aber mir persönlich hat es tatsächlich gefallen, auch wenn ich darüber eine Weile nachdenken musste.
FAZIT
Ok, ich habe jetzt viel gemeckert und auszusetzen. Aber dennoch – mir hat das Buch gefallen. Das Ende ist vielleicht zu offen, strukturell und inhaltlich gibt es Probleme, aber zum großen Teil hatte ich dennoch Spaß, und die Seiten sind nur so dahingeflogen.
Ich hoffe allerdings, dass der Autor sich für die kommenden Bücher das Feedback zu Herzen nimmt und der nächste Story-Arc wieder etwas spannender wird.
Auch wenn es mindestens noch 4-5 Jahre dauern wird, bis mit dem nächsten Buch zu rechnen ist.
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Insgesamt sehe ich das buch irgendwo zwischen 3.5 bis 4 von 5 Punkten.
Tirade am Ende: „DaS BuCh iSt zU wOke“ 🤡
Beim Überfliegen der Rezensionen auf „Goodreads“ musste ich teilweise sauer aufstoßen. Ein (sehr kleiner) Teil davon hat sich darüber echauffiert, dass es homosexuelle Figuren in diesem Buch gibt, dass das Buch für diese „Christen“ einfach nicht mehr tragbar sei und sie es nicht zu Ende gelesen hätten. In den Kommentaren darunter gab es dann auch größtenteils die üblichen "Alles, was ich hasse, ist woke"-Kommentare.
Erst mal: Homosexuelle Menschen existieren. Findet euch damit ab.
Dann: Wenn euch zwei Seiten in einem 1330 Seiten langen Buch so dermaßen triggern, habt ihr die Kontrolle über euer Leben verloren.
Und: Wer jetzt sagt, dass Sanderson „woke“ geworden ist, hat vermutlich noch nie ein Buch von diesem Autor gelesen. [4]
Dieses Buch hat sicherlich ein paar Schwachpunkte, aber dieser Punkt ist definitiv keiner davon. Bitte bleibt auf „Twitter“. Spinner.
Ich gehe davon aus, dass der geneigte Leser eh bereits in der Serie involviert ist – warum sonst sollte man sich eine Meinung zu einem 5. Teil einer Serie ansehen? ↩︎
Ich sag nur: "I am his therapist" – was einfach einen tollen Moment kaputtgemacht hat. ↩︎
Einfach nicht wirklich aufgelöst wird und viel mehr Fragen offen lässt ↩︎
Ganz abgesehen davon, dass woke nichts anderes als ein konservatives Buzzword ohne Inhalt ist und alles bezeichnet, was diese "Meinungsfreiheit liebende Gruppe" nicht mag und verbieten will. ↩︎